Tadschikistan im Sommer 2012 - ein Reisebericht

„Welcome in Tadschikistan“

Ein junger Grenzbeamter strahlt mich aus seinem Häuschen an, nachdem er meinen Pass in Augenschein genommen hat.
Welch eine Begrüßung ( Wenn man daran denkt, wie oft man an internationalen Grenzen von muffigen oder wichtigtuerischen Zöllnern empfangen wird)! Mitten in der Einöde des Grenzübergangs Oybek.
Ein Taxifahrer hat mich von Taschkent über holprige usbekische Straßen hierher gebracht – nun beginnt das Abenteuer; unbekanntes Land: Wo liegt das eigentlich? (Freunde), wie schreibt man das denn? (Sekretärin im Impfinstitut), „Seien Sie bloß vorsichtig!“ (russischstämmige Impfärztin) … „in Moskau wird man auch überall beklaut!“

Ich bin in knapp drei Wochen nicht ein Mal bestohlen worden, habe unglaublich freundliche Tadschiken kennengelernt, eine fast beschämende Gastfreundschaft in den ärmsten Hütten ….

Mein Plan, vom Grenzübergang mit einem Lkw-Fahrer nach Duschanbe zu kommen oder den Bus zu nehmen, war allerdings mit der Realität nicht in Einklang zu bringen: Ein paar junge und ein paar ältere Männer (wie ich) faulenzten im kargen Schatten ihrer Autos, dann noch einige Bauersfrauen in ihren bunten orientalischen Gewändern, die am Straßenrand hocken, und ziemlich viel Landschaft.

Die Verhandlungen mit den Männern über die Weiterreise erwiesen sich – obwohl fröhlich - als schwierig, welch Wunder, wenn der Reisende weder russisch noch tadschikisch und der Tadschike weder deutsch noch englisch spricht; andere Sprachen haben wir nicht ausprobiert.

Auf „Duschanbe“ als Fahrtziel haben wir uns dennoch geeinigt und mit Hilfe eines Handys und von Zahlen im Staub des Straßenrandes auch auf den Preis für die Fahrt – hoffte ich jedenfalls.

Die luxuriöse Fahrt in einem alten Opel größerer Bauart begann, wurde im nächsten Dorf unterbrochen, ein Beifahrer auch mittleren Alters mit allerdings rudimentären Englischkenntnissen „Germania good“, „Frankfurt“, „girls“ …. „ stieg zu, dauerte dann etwa 20 Minuten auf einer hervorragend ausgebauten Straße, um von einer Reifenpanne gestoppt zu werden - es sollte nicht die letzte in Tadschikistan gewesen sein (6 Reifenwechsel habe ich während meines Urlaubs gezählt !), die aber routiniert in Rekordzeit von meinen beiden Machochauffeuren, perfekt frisiert, natürlich mit Drei-Tage-Bart und glühenden stolzen orientalischen Augen, gemeistert wurde.
Der Reservereifen sah allerdings noch desolater aus als der defekte………. Man kann eben nicht alles haben: formidable Fahrer, breite, luxuriös ausgebaute Straßen (ich hörte, gerüchteweise: für den Transport von Kriegsgerät von und nach Afghanistan, ich sah, tatsächlich auf Schildern: „mit Mitteln der EU“), exotische Landschaften und ebensolche Dörfer………………

Der nächste kurze Halt brachte eine weitere Überraschung: Mit zwei Flaschen „Baltica“ (für die Weintrinker: es handelt sich um Bier) in der Hand tauchte unser Beifahrer wieder auf. „Jetzt fangen die doch wirklich an zu saufen“, schoss es mir durch den Kopf, als die Bierflasche geöffnet wurde - aber Überraschung: für den „ friend from Germania“, „bira gut“ - und höflich, wie ich nun mal erzogen bin, trank ich zu früher Stunde bei großer Hitze meinen ersten Frühschoppen ……….

Das zweite Bier bot ich den beiden „friends from Tadschikistan“ an; die machten mir aber gestenreich deutlich, dass sie ja noch fahren müssten. Auf den zweiten halben Liter habe ich auch verzichtet, ungläubiges Staunen erntend. Wie sollte ich erklären, dass ich aus Norddeutschland komme und kein bajuwarischer Schuhplattler bin: „Zum Frühstück oa o zwoa Maß und der Toag wird a Spoaß“ ? (Keine große dichterische Leistung, ich gebe es zu).
Die „Straße“ hörte dann irgendwann auch auf und wurde ersetzt durch einen Pass über den Shahriston-Pass (3378m):  Schotter, Staub, abgrundtiefe Schlaglöcher am tiefen Abgrund (100? 200? 400m? freier Blick oder Fall in die Tiefe), unbefestigte Bankette, Gegenverkehr, Überholmanöver, Autowracks am Abhang, Bandscheibentest - wozu noch eine „Straße“ pflegen, wo doch am Tunnel gebaut wird, der irgendwann auch fertig sein wird ?
A pro pros Tunnel; es kam noch schlimmer! Der berüchtigte Anzob- Tunnel, von Chinesen gebaut, wie mir der stolze Tadschike auf der Rückbank beruhigend – oder klang Kritik an? - klarmachte, war dann wirklich etwas für starke Nerven: Die ersten hundert Meter noch festlich von – na bestimmt 40 Watt starken – Glühbirnen illuminiert, tauchte er – der Tunnel – dann im wahrsten Sinne des Wortes ab, in Wasser und Dunkelheit, Schlaglöcher von bereits erwähnter Tiefe, jetzt aber als Pfützen getarnt, Wasser von oben, Wasser von der Seite, Wasser von unten, immer mal wieder Gegenverkehr, eigentlich sogar ziemlich viel, vermummte Gestalten, gelb behelmt, mit und ohne Atemschutz, Bauplanen, die von der Decke hängen, monströse Baumaschinen in fahles Licht getaucht: Apokalypse now.

Und irgendwann waren wir dann trotzdem in Duschanbe, haben vor der Stadt noch etwa eine Stunde im Stau gestanden, im wunderschönen Tal des Varzob, gesäumt von alten Bäumen und prächtigen Villen, deren Terrassen über dem Fluss schwebend Kühlung versprechen, vorwiegend zwischen SUVs und Mercedessen (geht der Plural so?), – dabei soll Tadschikistan doch ein sehr armes Land sein; hier fiel es mir schwer, das zu glauben – deren Fahrer und Insassen sich bei dröhnender tadschikischer Popmusik (geht wirklich ins Ohr) einen Spaß daraus machten, sich die Vorfahrt zu nehmen, zu drängeln, zu hupen, jede Lücke rücksichtsvoll, Sie lesen richtig (!), ausnutzend und sich diebisch über den erlangten Vorteil freuend und das alles mit einer Fröhlichkeit, die einen deutschen Autofahrer und dazu noch einen recht ungeduldigen, wie ich es bin, sprachlos machten.

Und – ich hatte es im Reiseführer gelesen, aber für einen Scherz gehalten – der Wagen musste vor der Stadt noch gewaschen werden, weil man mit schmutzigem Fahrzeug nicht in die Hauptstadt einfahren darf, ansonsten kassieren die fleißigen, allgegenwärtigen Polizisten eine Strafgebühr, was sie allerdings immer und überall tun – egal, ob der Fahrer ein Delikt zu verantworten hat oder überhaupt gefahren ist. Ich denke, es handelt sich hier um eine Art Prophylaxe, denn rein hypothetisch könnte er im nächsten Augenblick ja tatsächlich einen Verkehrsverstoß begehen – und Vorbeugung ist bekanntlich besser als ………………    

Der Fahrer des öffentlichen Hauptverkehrsmittels, in diesem Land in Gestalt eines Jeeps oder neudeutsch „SUVs“, der mich ein paar Tage später ins Pamir bringen sollte, ist auf den ersten 50 km beim Verlassen der Hauptstadt sage und schreibe neun Mal von Ordnungshütern mit unnachahmlich lässiger Geste, den Leuchtstab schwingend, an den Straßenrand gewinkt worden – worauf sein Stapel Papierkleingeld, vorsorglich auf dem Armaturenbrett deponiert, unter einem Handtuch vor neugierigen Blicken geschützt, zusehends kleiner wurde und ihm die Pein verursachte – ich sah es ihm an –, mich um Kleingeld bitten zu müssen, große Scheine wollte er unseren „Freunden und Helfern“ dann wohl doch nicht anvertrauen, denn wie leicht kann so etwas falsch verstanden werden nach dem Motto: „Stimmt so!“

Zurück nach Duschanbe! Meine beiden Chauffeure ließen es sich nicht nehmen, am Stadtrand meine Kontaktadresse „Daler“ anzurufen, um meine Ankunft zu vermelden. Wirklich fürsorglich! Ein Taxi durfte ich nicht nehmen, denn Taxifahrern kann man nirgends trauen (so meine beiden Taxifahrer, wenn ich ihre Zeichensprache richtig verstanden hatte), und so warteten wir geduldig, aber nicht lange auf Daler (Name geändert), einen deutschsprachigen tadschikischen Professor, dessen Anschrift mir die deutsch-tadschikische Gesellschaft in Person ihres ersten Vorsitzenden vermittelt hatte.

Hinter der abstrakten mail-Adresse verbarg sich ein reizender Gastgeber mit einer unglaublich gastfreundlichen tadschikischen Familie (Vater, Mutter, erwachsener, frisch vermählter Sohn mit seiner ebenso jungvermählten, bildhübschen jungen Frau) – alle mit hervorragenden Deutschkenntnissen -, so dass mein größter Wunsch, nicht nur als anonymer Tourist durch das Land zu reisen, sondern intensivere Kontakte zu knüpfen, tadschikisches Familienleben kennen zu lernen und natürlich viel über das bereiste Land aus erster Hand zu erfahren – zugegebenermaßen fast eine Anmaßung ohne russische oder tadschikische Sprachkenntnisse – wahr wurde und mehr noch: Aus Fremden wurden Freunde. Was kann man mehr von einer Reise erwarten! Herzlichen Dank der deutsch-tadschikischen Gesellschaft und vor allem natürlich meinen Gastgebern in Duschanbe.

Ausgedehnte Spaziergänge in Duschanbe brachten mir in den nächsten Tagen Tadschikistan näher; breite Alleen führen ins Zentrum und machen die Hitze von mehr als 40°C, bei sehr trockener Luft, was in Zentralasien, mehrere tausend Kilometer vom nächsten Meer entfernt, nicht besonders erstaunt, auch für einen Norddeutschen gut erträglich.

Wie viel repräsentative Architektur braucht ein Staat? Pompöse Regierungsgebäude, allen voran der Präsidentenpalast, griechisch-amerikanisch-neoklassisch würde ich ihn als architektonisch nicht besonders gebildeter Reisender bezeichnen, neben sozialistisch realistischen Monumental-Denkmälern inmitten eines wirklich schönen, grünen, von Wasserspielen unterbrochenen Parks, der zum Verweilen einlädt, denn es gibt viel zu sehen: Farbenprächtig in weite wallende Gewänder sehr traditionell gekleidete Tadschikinnen (très chic !) flanieren in ihrer Mittagspause auf den Wegen, picknicken, treffen sich mit Freundinnen, kaufen ihren herausgeputzten Kindern Eis – städtisches Familienleben auf tadschikisch.              
Wirklich interessant und herzerfreuend wurden die Spaziergänge durch die Wohnviertel der Hauptstadt: Meistens vier- bis fünfstöckige heruntergekommene Mietskasernen aus sowjetischer Imperialzeit oder traditionelle einstöckige Lehmbauten aus vorsowjetischer Zeit mit Flachdächern.

Auf den Grünflächen zwischen den Häusern quirlte das Leben unter alten Schatten spendenden Bäumen: Können Sie sich erinnern, wann Sie in Deutschland das letzte Mal Kinderscharen haben herumtoben sehen ? – Nein, nicht auf einem Sportplatz, sondern zwischen Mietshäusern auf freien Flächen: Räuber und Gendarm, Fußball, Verstecken, Murmeln und was Kinder sonst so spielen, wenn man ihrer Fantasie freien (Aus)lauf lässt – nicht durch lästige fremdbestimmte Regeln, Erwachsenenmanipulationen und –Reglementierungen eingeschränkt; kurz Kinder, die man Kinder sein lässt…..

Reisen Sie nach Duschanbe, spazieren Sie durch ein Wohnviertel und Sie können all das genießen und noch viel mehr: Junge Mädchen, junge Frauen und ihre Mütter, in bunten Kleidern (immer mit den traditionellen weiten Hosen darunter, die bis zum Knöchel reichen), die auf Betonflächen hockend mit Hingabe und großem Fleiß stundenlang Teppiche einschäumen und schrubben, sich mit großem Entsetzen wegdrehen und mit ebensolchem Vergnügen kurz lächelnd aufschauen und den fotografierenden Touristen aus Deutschland mustern ……………
Zwischen der Lebenslust und –freude der Kinder und ihrer Spiele ist die materielle Armut nicht zu übersehen, wenngleich sie nicht sehr bedrückend wirkt: Kleine Kioske, Bauchläden, auf Teppichen oder Plastikplanen ausgebreitete Waren, deren Vielfalt von Kaugummis über Plastikspielzeuge, Süßigkeiten, Softdrinks, Eis, Kugelschreiber usw. reichte, die Dinge, deren Verkauf einen Tag zum Leben reicht, den nächsten vielleicht nicht, die einen kleinen Zuverdienst erlauben, wenn denn der Haupternährer der Familie tatsächlich einen Job hat - vielleicht in Russland, wo viele Tadschiken ihr Glück als Gastarbeiter versuchen (und dort wenig geachtet sind).
Dann die vielen kleineren und größeren Basare, Supermärkte, Wechselstuben, „Heimwerkermärkte“, in denen alles verkauft wird, was man so zum täglichen Leben braucht; inmitten der Wohnviertel, so dass Autos, von denen man erstaunlich viele sieht ( von russischen Modellen über Mercedes- und Opelkarossen bis hin zu den neuesten SUVs), zur Nahversorgung überflüssig sind (wie früher in Deutschland zur Zeit der Tante-Emma-Läden).

 

Auf dem Weg zum „Dach der Welt“

Jetzt stellte er die Musik tatsächlich noch lauter, mein Schädel brummt, ich konnte nicht mehr sitzen….. Seit Stunden übte ich mich in asiatischer Gelassenheit, konzentrierte mich auf die wunderbare Berglandschaft, an der ich mich nicht sattsehen konnte, ließ idyllische Bergdörfer (Sorry, ich weiß, das ist die sehr naive, romantisch verklärte Sicht des Touristen) mit prächtigen alten Straßenbäumen an mir vorüberziehen, tauchte in Staubwolken vor uns herfahrender Lkw’s ein, tauchte wieder auf, im Tal einen türkisblauen See am Rande einer bergbaulichen Industrieanlage erblickend (bestimmt Schwermetalle! denkt man sich als umweltbewegter deutscher Tourist) ……………, aber jetzt wurde mir der tadschikische Ethno-Pop, der mir eigentlich sehr ins Tanzbein geht, doch zu viel – wohin auch mit dem Tanzbein, dass längst eingeschlafen war?

Bewunderung konnte ich nur meinen Mitreisenden entgegen bringen, die in zwei Reihen hinter mir im chinesischen Geländewagen hockten - wie viele waren es eigentlich? 1, 2, 3, 4, ach das kleine Würmchen zwischen den Beinen seines Vaters hätte ich fast übersehen, ich glaube 7, auf jeden Fall zu viel - und nicht das (gekaufte) Glück hatten, auf dem Beifahrersitz „thronen“ zu dürfen. Zu meiner Entschuldigung (und dem schlechten Gewissen ob dieses Privilegs) sei erwähnt, dass ich meine tadschikischen Mitfahrer um einiges an Körperlänge (und auch Alter) übertraf.

Ich steckte mir jetzt zusammengerollte Papiertaschentücherstücke (tolles Wort) in die Ohren! Geniale Idee! Die Musik wurde erheblich leiser – leider blieb ich für die Dauer meiner weiteren Reise auf dem einen Ohr ziemlich taub, was mir erstens in der Folge sehr peinlich wurde, wenn ich meine Gegenüber mehrmals fragen musste, was sie denn gesagt hätten (der „taube Alte“ – haben sie bestimmt gedacht) und zweitens noch peinlicher, als ich daheim in Deutschland nach einer intensiven Ohrspülung im Badezimmer ein stattliches Papiertaschentücherstück unter dem Gelächter meiner besorgten ( wegen der an mir selbst vorgenommenen OP) Ehefrau zu Tage brachte.
Tiefe Schluchten, grüne Pappeloasen, reißende Flüsse, dann wieder trockene, von Erosion zerstörte Berghänge lösen einander ab. Die fruchtbaren Flächen beschränken sich auf schmale Streifen in den Flusstälern, in die sich auch die Dörfer schmiegen. Das Leben, das ich aus dem Auto beobachten konnte, spielte sich auf und neben der Straße ab, häufig bilden die Hauswände aus Lehm die Straßenbegrenzung.

Volleyball scheint eine beliebte Sportart bei den Pamiris zu sein; in mehreren Dörfern sah ich Jugendliche beim Spiel - natürlich nur Vertreter des „starken“ Geschlechts, die des schwachen waren mit Wasser holen, Teppich schruppen (s. Duschanbe) usw. beschäftigt, was wahrscheinlich bei der richtigen Einstellung auch viel Spaß macht ……………………

Fußballspiel sah ich übrigens nirgends, wo hätte auch Platz sein sollen für ein richtiges Fußballfeld!
Weiter ging es über den Chaburabot-Pass (3252m) Richtung Kalaikhum. Regen hatte eingesetzt und ein kalter Wind machte die nächste Rast ziemlich ungemütlich. Auf den Almwiesen unterhalb des Gipfels wachsen keine Bäume mehr, die Schutz bieten könnten. Ich hätte mich unter dem Dach des Gasthauses aufhalten können und wurde dazu auch freundlich von den Tadschiken aufgefordert, aber mir war mehr nach Bewegung und nach einem stillen, nicht einsehbaren Örtchen ……………….. Erst später nach meinem kleinen Spaziergang durch die Almwiesen fiel mir ein, dass mein Reiseführer ausdrücklich vor nicht markierten Minen am Chaburabot-Pass gewarnt hatte ………… Glück gehabt!

Die Dunkelheit brach über uns herein, keine Landschaft mehr, nur noch Musik und unser Fahrer, der jetzt schon 10 Stunden fast ohne Pause (nur eine halbstündige Mittagsrast unter einem riesigen uralten Baum in einem Straßenrestaurant“) hinter seinem Steuer saß, mit Tunnelblick auf die kaum sichtbare Schotterpiste und den fast allgegenwärtigen Abgrund neben mir starrte, sich mit den Unterarmen auf das Lenkrad abstützte und - man glaubt es nicht – die Musik noch lauter drehte, was jetzt sogar bei meinen Mitfahrern hinter mir ein deutlich vernehmbares Aufstöhnen provozierte – mehr allerdings auch nicht; der tadschikische Technorhythmus diente ja einem guten Zweck - so hofften wir jedenfalls in unserer Schicksalsgemeinschaft oder soll ich sagen: unserem Selbstmordkommando?

Hätte ich das schon morgens in Duschanbe gewusst auf dem großen Sammelplatz für die Fahrten ins Pamir-Gebirge…… und hätte das Daler gewusst, mein reizender Gastgeber, der mich schon mit schlechtem Gewissen dorthin gebracht hatte, weil er wegen der Erkrankung von Freunden nicht, wie geplant, mit seiner Frau und mir zusammen reisen konnte, er hätte, so rührend besorgt um meine Sicherheit, mit den Fahrern verhandelt und mir meinen Trip ins Ungewisse vermittelt. Er konnte es ja auch nicht wissen, war er doch selber noch nicht im wilden Badakhshan (Gorno-Badahkshan heißt die Pamir-Provinz Tadschikistans) bei den ismailitischen Pamiris gewesen, deren Erwähnung bei Tadschiken nicht unbedingt Begeisterung hervorruft ……. . Zu groß ist der Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang dieses Volkes, das sich dem Persischen verwandt fühlt.

Es muss gegen Mitternacht gewesen sein, als wir dann endlich Kalaikhum erreichten, den Ort, in dem sich die Nord- und die Südroute von Duschanbe (letztere wollte ich auf dem Rückweg benutzen) ins Pamir treffen. Mein Fahrer machte mir klar, dass nun eine längere Rast, wie der auf die zusammengelegten Handflächen geneigte Kopf wohl anzeigen sollte, mit Schlafmöglichkeiten folgen sollte.

In stockdunkler Nacht stolperten wir eine Betontreppe hinunter und landeten auf einer Terrasse, unter der ein reißender Fluss (Pandj) schäumte und lärmte (bei Tag und ausgeschlafen sicher ein Sightseeing-Vergnügen), aber angesichts meines Zustandes eher furchterregend………………………………

Unser „Nachtquartier“ erwies sich dann als Dorfkneipe (-gemeinschaftshaus?) mit dem erdrückenden Charme einer Betonhalle mit Plastikgartenstühlen – aber einem Dienstleistungsservice erster Klasse. In Windeseile öffnete die Küche und bereitete warme Speisen zu (statt Bier gab es leider nur Tee): Meine Lagman (eine heiße Suppe mit Fleisch, Nudeln, Kartoffeln und Gemüse) schmeckte sehr gut und die Fleischberge bzw. –spieße auf den Tellern meines Fahrers und einiger Mitfahrer sahen auch sehr appetitanregend aus. (Vielleicht sollten die Kieler Gastronomen mal einen Fortbildungsurlaub nach Kalaikhum buchen …..in meiner Heimatstadt gibt es nach 22:00 Uhr auch am Sonnabend nichts Warmes mehr zu essen - mit viel Glück noch eine Pizza -, allerdings, das sei zur Ehrenrettung gesagt, noch Bier).

Das Essen war gut, mit Schlafen war nix……… Komisch mein Fahrer war seit einiger Zeit (15 Minuten) verschwunden. Ob er ein Plätzchen zum Schlafen gefunden hatte? Hatte ich etwas übersehen?
Marco (so hieß mein Fahrer, jedenfalls habe ich das verstanden) - ich traute meinen Augen nicht - lag tatsächlich unter einem, nicht seinem, Geländefahrzeug - hell angestrahlt von seinem gegenüber aufgestellten Fahrzeug und fummelte mit anderen Fahrern unseres kleinen Konvois an den Bremsen herum, die nach und nach auseinander genommen wurden …………… 

Nach gut einer Stunde, in der ich mich zumindest auf Englisch mit zwei reizenden tadschikischen Studentinnen (aus einem anderen Fahrzeug) unterhalten konnte, unter anderem über ihre Probleme, einen einigermaßen annehmbaren (ich nehme an: emanzipierten) tadschikischen Mann fürs Leben zu finden, ging es weiter - natürlich ohne Schlaf.

Meine Versuche herauszubekommen, wie weit es denn noch bis Chorog sei, dem vorläufigen Ziel meiner Reise und dem verzweifelt ersehnten Bett im reservierten Hotelzimmer (Daler sei Dank), scheiterten an dem etwas anderen Zeit-und Raumgefühl der Tadschiken, das wohl mehr von Allah als von Uhren und Längenmaßen geprägt ist.

Für die knapp 300 km (ist die Angabe im Reiseführer wirklich richtig ?) haben wir dann nur noch knapp 10 Stunden gebraucht; der vorsichtigen Fahrweise unseres Marco sei gedankt, aber auch seiner pietätvollen Seele, die ihn veranlasste, im Morgengrauen an einigen Holzkreuzen, die die schmale Piste am reißenden Pandj, dem Grenzfluss zu Afghanistan, säumen und teilweise mit den Fotos der vermutlich wegen Schlafmangels verunglückten jungen Männer bestückt sind, zu gedenken - und dank seines ausgeprägten Kommunikationsbedürfnisses, das er zu Beginn der (Tor)tour (den Rechtschreib-Lapsus möge man mir wegen des Wortspiels verzeihen) mit (gefühlt) hundert Handytelefonaten befriedigte und jetzt in persönlichen Gesprächen mit den Chauffeuren entgegenkommender Fahrzeuge auslebte. Zum Glück gibt es auf der Straße nach Chorog - obwohl die einzige weit und breit - nicht viel Verkehr, so dass der Informationsaustausch von Fahrzeug zu Fahrzeug aufgrund der schmalen (hier überwiegend asphaltierten) Fahrbahn auch durchaus möglich war. Die Lautstärke der Musik musste jedenfalls nicht erheblich gedrosselt werden. (Ich kannte die Stücke inzwischen ohnehin auswendig, da die einzige Kassette in einer Endlosschleife vor sich hin dröhnte).

Von meinem Vorhaben, tadschikische Musik mit nach Hause zu nehmen, wie ich das gern auf Reisen mache, habe ich am Ende meines „Urlaubs“ übrigens Abstand genommen ……………….

Nach endlosen Kilometern in einem schmalen, überwiegend vegetationslosen Tal am Pandj entlang, immer mit Blick auf Afghanistan, das wirklich nur einen Steinwurf entfernt auf der anderen Flussseite liegt und auf deren Ufer sich nur ein schmaler Saumpfad befindet, auf dem sich die ganze Zeit nur ein einziger bärtiger Afghane auf einem Esel („bestimmt ein Taliban“ - Entschuldigung, aber ich war stark übermüdet) blicken ließ, erreichte ich (wir) mehr tot als lebendig Chorog ….

Marco war so freundlich, mich noch zum Hotel zu bringen, dessen Suche in der Kleinstadt Chorog trotz vorhandener Adresse allerdings noch eine Viertelstunde dauerte… (Die restliche Schicksals- und Fahrgemeinschaft wollte noch weiter nach Iskasim, weitere ein- bis zwei Stunden Fahrt vor Augen).

Was soll ich über Chorog berichten? Immerhin war es das Etappenziel – der Ausgangspunkt meines Pamir-Abenteuers …………….. Das Zentrum Badakhshans empfand ich als kleine Enttäuschung. Ein kleines Provinzstädtchen, ziemlich grau trotz strahlend blauen Himmels, nicht besonders gepflegt mit vorherrschenden Beton- und Lehmbauten.

Etwas mehr Exotik hätte es schon sein dürfen; eine kleine Überraschung allerdings waren der hübsche grüne Park am und die Hängebrücken über den Fluss Gunt. Und nicht zu vergessen die zwei (!) deutlich mit großen Schildern ausgewiesenen Universitäten, Symbol des relativ hohen Bildungsstands der pamirischen Bevölkerung, der auch von deren Oberhaupt, Aga Khan, gefördert wird (so hatte ich gelesen).

 

Auf dem Dach der Welt – im Pamir
Was könnte idyllischer sein, als unter Aprikosenbäumen, deren üppige reife und überreife Früchte einen überaus reizvollen Kontrast zum strahlendblauen Himmel bildeten, zu liegen, zu faulenzen, die Gedanken schweifen zu lassen ……………………. nein, ich bin nicht im Paradies - die Aprikosen fallen mir auch nicht in den Mund, sondern auf den Kopf (in der Südsee wären es Kokosnüsse), aber ich bin im Pamir, in einem ziemlich heruntergekommenen „Gasthof“, zwei Kilometer vor Chorog, im Vorort Bidurd (so ähnlich heißt er, glaube ich zumindest) und komme seit zwei Tagen nicht weiter und fühle mich einsam. Abgeschnitten von jeglicher Kommunikation, kein Handy-Empfang, kein Fernsehen, kein Radio, keine Touristen – das junge französische Pärchen, das ich im gemieteten Geländewagen von Bulungul aus auf dem Rückweg nach Chorog mitgenommen hatte, war ungeduldig geworden und wollte versuchen, sich zurück über den Pamir-Highway nach Kirgisien durchzuschlagen.

Jetzt also nicht einmal mehr französische Konversation, die seit drei Tagen bei meiner One-Man-Tour von Chorog aus durch den Wakhan-Korridor, über den Khargush-Pass (4344m)und zurück über den Pamir-Highway – mit einem Abstecher nach Murghab -meine einzige Kommunikationsmöglichkeit gewesen war, denn die wenigen Touristen, die ich unterwegs traf, waren Franzosen oder - mit dem „Radel“ unterwegs - auch einige französischsprachige Schweizer.*

* Der Pamir-Highway scheint zur Zeit unter Rad fahrenden Globetrottern sehr „in“ zu sein; immer wieder (Übertreibung) traf ich Globetrotter auf Drahteseln in kleinen Gruppen oder zu zweit auf dieser Piste. (Ich gebe es zu, mich juckt es –nicht allein, aber in einer kleinen Gruppe oder zu zweit - meine geliebte Ehefrau werde ich dazu allerdings nicht überreden können -, diese Tour noch einmal mit dem Fahrrad zu machen; ich weiß, mein Alter (>29 Jahre) spricht dagegen……

 

Auf den Luxus des Alleinreisens hätte ich gern verzichtet, leider fanden sich für meine Exkursion durch die Berge keine Begleiter in Chorog. Auch die wirklich engagierte junge Frau in der dortigen Touristikinformation, die mir den einheimischen und ortskundigen Fahrer mit Geländewagen vermittelt hatte, konnte mir bei diesem Problem nicht weiter helfen.

Aber diese exklusive Art des Reisens hat natürlich auch Vorteile: Ich konnte die Reiseroute, die Stopps, die Aufenthaltsdauer bei den Besichtigungen selbst bestimmen, ohne Rücksicht auf andere Interessen nehmen zu müssen. Meinen geduldigen und sehr schweigsamen Fahrer (9 Wörter Englisch) habe ich wahrscheinlich zum Wahnsinn gebracht mit meinen Ausrufen „Stopp!“ „Foto!“, die alle paar Minuten erschollen.

Die Landschaften sind grandios: Das breite Wakhan-Tal mit dem mäandrierenden Pandj, eingeschlossen im Süden vom Hindukusch mit seinen schneebedeckten Sechstausendern und im Norden von der Shakhdara Range mit dem Karl-Marx-Peak (6723m) und dem Engels-Peak (6507m). Die Farben wechseln vom Blaugrün der Fluten des Pandj ins unwirtliche Grau der Gebirgshänge, unterbrochen von Flüssen und Bächen, auf deren Schwemmkegeln am Fuße der Hänge tiefgrüne Oasen entstanden sind, Lebensgrundlage der Pamiris und der Afghanen in den kleinen Lehmsiedlungen.
Weiter den Khargush-Pass hinauf leuchten die Farben aufgrund der dünnen Luft in der Höhe in einer bisher noch nicht gesehenen Klarheit und Schärfe: Die Sedimentgesteine (ein Eldorado für Geologen) changieren von Gelb über Ocker ins Braune, wechseln sich ab mit grauen, teilweise fast schwarzen Tiefen- und Eruptionsgesteinen; wüstenartiges Gelände geht abrupt in grüne und lila leuchtende Almwiesen über, dort, wo Wasser Leben spendet, im scharfen Kontrast zu den in Schneeweiß endenden Berggipfeln. Dazu Wetterwechsel von atemberaubender Geschwindigkeit, die die etwa 4000m hohe Hochebene, eben noch in gleißendes Sonnenlicht getaucht, in Regenschauer hüllen, drohende Gewitterwolken am Horizont lassen Schlimmeres erwarten, um sich überraschend im Nichts aufzulösen, der Sonne wieder freien Lauf zu lassen .
Bäume und höher gewachsene Sträucher fehlen hier auf dem Hochplateau völlig, trotzdem gibt es Leben: Auf den Almwiesen tummeln sich die putzigen, aber sehr scheuen Murmeltiere, die kirgisischen Nomaden ziehen mit ihren Ziegen- und Schafherden über die Gebirgsweiden und errichten dort ihre saisonalen Behausungen. In Alichur konnte ich einer kirgisischen Großfamilie beim Bau des kunstvollen Gerüsts ihrer Jurte zuschauen.
Die wenigen Lehm- und Wellblechsiedlungen entlang des Pamir-Highways ( Alichur, Murghab) wirken trostlos auf den Besucher aus Mitteleuropa, der Bäume und Büsche als belebende Elemente vermisst; den bizarrsten Eindruck hat bei mir ein Nomadenfriedhof in der Nähe von Alichur hinterlassen, dessen Grabsteine wie Anklagen in den Himmel ragen.

Zurück zu meinem einsamen Aprikosenhain in Bidurd, kurz vor Chorog. Nach diesen grandiosen Naturerlebnissen saß ich hier nun fest.

Nur ein Pamiri in Bidurd sprach englisch (etwas jedenfalls) und wurde mein „Chefdolmetscher“, meine Verbindung zur Außenwelt sozusagen; leider wusste er auch nicht sehr viel über den Grund meines Zwangsaufenthaltes. Immerhin erfuhr ich, dass ich der letzte Mohikaner, sprich Tourist gewesen war, der Bidurd erreicht hatte. Kurze Zeit später hatte das Militär den Highway bereits in Alichur für Ausländer gesperrt, so dass ich hier wohl der einzige bleiben würde……………….

Von Zeit zu Zeit hörten wir Gewehrsalven und auch Geschützdonner aus Chorog und sahen
Helikopter. Der Schlagbaum versperrte mir weiterhin die Straße, der freundliche Polizist (oder war es ein Militär) konnte (oder wollte) auch nichts zur Aufklärung beitragen; mein Chefdolmetscher erging sich in Vermutungen: bürgerkriegsähnliche Zustände in Chorog, 100 bis zweihundert Tote, viele Zivilisten darunter, Drogenkrieg unter rivalisierenden Banden, regierungstreue Truppen gegen aufständische Pamiris, Taliban aus Afghanistan gegen Regierungstruppen aus Duschanbe …………..

Das Wenige, was er wusste, hatte er aus dem russischen Fernsehen, das ein paar spärliche Informationen sendete, und von Einheimischen, die aus Chorog kommend, beim Passieren des Schlagbaumes sich äußerten und davon brausten. Besonders auskunftsfreudig waren sie nicht – hatte ich den Eindruck, aber sehr aufgeregt und sehr gestresst.

Mein Fahrer hatte sich am Tag zuvor - nach Bezahlung der Rechnung – auch nach Chorog davon gemacht, weil er Angst um seine Kinder und seine Frau im Krankenhaus (Aussage meines „Chefdolmetschers“) hatte, nicht ohne vorher zu versichern, dass er auf jeden Fall wiederkäme …
Ich war wahrscheinlich ziemlich naiv, ich hatte ihm die ganze Summe ausgehändigt ………..

Wie friedlich war es dagegen zwei Tage zuvor noch in Bulungul gewesen, einem kleinen Dörfchen aus Lehmhütten, das an einer Abzweigung vom Pamir-Highway liegt, am Ende der Welt. Nur eine etwa 20km lange Stichstraße führt dorthin; sie endet auf dem staubigen Dorfplatz, auf dem die männlichen Jugendlichen – Sie ahnen es schon? – Volleyball auf hohem Niveau spielten.

Als Schotterpiste geht die Straße dann weiter, vorbei am kleinen Bulunkul- See, hinein in ein wunderschönes Naturschutzgebiet mit dem kalten, von majestätischen Bergen eingerahmten See „Yashilkul“, der vom Fluss Alichur gespeist wird und es als Ghund wieder ausspeit.

Auf meiner Wanderung an den See in knapp 3800m Höhe traf ich einen Wildhüter, der tatsächlich etwas Englisch sprach und mir etwas über die Berg- und Tierwelt der Region erzählte, mir nebenbei eine Gebühr im Gegenwert von € 6,00 für das Betreten des Nationalparks abknöpfte (mit offizieller Quittung !) und sich offensichtlich sehr über den Besucher aus Germania freute.

Wilde Tiere konnte ich leider kaum beobachten trotz der lebendigen und anschaulichen Schilderungen meines neuen Begleiters – mal abgesehen von den schon erwähnten Murmeltieren und der sensationellen Begegnung mit einem riesigen Schneegeier, der uns auf dem Pamir-Highway direkt entgegen flog – auf Kollisionskurs, um dann kurz vor unserem Wagen abzudrehen.

Ausgerechnet in diesem Moment war ich damit beschäftigt, die Batterie meiner Kamera zu wechseln; sonst hätte ich zu Hause überprüfen können, ob es sich wirklich um einen Schneegeier gehandelt hatte.

Aber ein anderes Erlebnis ist mir noch sehr in Erinnerung geblieben: „Mein“ Wildhüter führte mich nämlich auf unserer Wanderung auf Abwege, in dem er mich auf historische (prähistorische?) Siedlungen (Ruinen? ) neugierig machte. Wir landeten nach mehr als einer einstündigen Wanderung auf saftig grünen Almwiesen entlang des Alichur und entdeckten – die berühmten Yaks (aus deren Leder meine Wanderschuhe sind; sie- die Yaks - haben es nicht persönlich genommen), die hier friedlich weideten. Die Ruinen habe ich auch gesehen, aber nur aus der Ferne und etwas besser mit dem Teleobjektiv meiner Kamera, aber sie lagen auf der anderen Seite des Alichur, dessen kräftige Strömung es nicht ratsam erschienen ließ, schwimmend an das Ziel zu gelangen.

Ich konnte den Verdacht nicht loswerden, dass mein charmant schlitzohriger Wildhüter ein ganz anderes Ziel im Sinn hatte: die Almhütte inmitten der Hochweide mit ihrer betagten Sennerin und den zwei sehr hübschen „Heidis“, die das Vieh hüteten.

Natürlich wurden wir sofort eingeladen, Tee wurde gekocht, Gebäck und selbstgebackenes Brot aufgetischt“ (natürlich auf dem mit Teppichen bedeckten Boden) und dazu köstliche goldgelbe Yak- Butter gereicht und Konfitüre. Welch ein Schmaus hier in der Einöde in einer blitzsauberen Hütte bei reizenden Gastgebern ! Wieder einmal bedauerte ich, der Landessprache nicht mächtig zu sein und nur ein paar Höflichkeiten mit Hilfe meines tadschikischen Bergführers austauschen zu können.

Gern hätte ich mehr über meine Gastgeber erfahren, über ihre Lebensumstände, ihre Wünsche und ihre Lebensvorstellungen …… . Besonders die Pläne der beiden jungen Damen hätten mich interessiert. Natürlich werden sie dank Fernseher von der „Welt da draußen“ wissen, von den „Segnungen“ unserer Zivilisation, von den Möglichkeiten und vielleicht auch Unmöglichkeiten. Empfinden Sie ihr Leben hier oben auf dem „Dach der Welt“ als eintönig – in Bulungul fast ein halbes Jahr von der Außenwelt abgeschnitten -, als ungerecht? Aber natürlich mache ich mir keine Illusionen: Als Tourist – selbst mit Sprachkenntnissen – kann man in der kurzen Zeit seines Urlaubs nur die Oberfläche eines Landes und seiner Menschen kennenlernen. Wären wir in Europa selbst bereit, uns wildfremden Menschen gegenüber zu öffnen, ganz abgesehen davon, dass unsere verkümmerte Gastfreundschaft solche Situationen wie diese gar nicht erst entstehen ließe?

Aber auch knapp ein halbes Jahr danach – ich bin längst wieder wohlbehalten in Good Old Germany - ist nicht völlig klar, was dort passierte. Die Meldungen im Internet waren und sind immer noch sehr spärlich, noch spärlicher in deutscher Sprache. Tadschikistan und insbesondere der Pamir stehen bislang eben nicht im Mittelpunkt des Interesses der internationalen Medien – trotz der langen Grenze zu Afghanistan.
Erst seit Dezember (2012) ist Goro-Badakhshan wieder für Ausländer zugänglich.

Gern hätte ich auch mehr über den Konflikt erfahren, der sich in Chorog vor meinen Augen oder besser Ohren abspielte.

In Bidurd (unter den Aprikosen – Sie erinnern sich?) war ich völlig von Informationen abgeschnitten. Als ich nach zwei Tagen mit dem Handy endlich meine Frau in Deutschland erreichte, um ihr mitzuteilen, dass es mir gut ginge, fiel sie aus allen Wolken, da sie überhaupt noch nichts von den Unruhen mitbekommen hatte……….. Ich erreichte das Gegenteil mit meinem gut gemeinten Anruf: Statt Beruhigung säte ich Unruhe und Angst. Auch meine tadschikischen Freunde in Duschanbe konnte ich telefonisch nicht erreichen, erfuhr aber nach meiner Rückkehr, dass sie in Sorge um mich sogar schon das deutsche Konsulat eingeschaltet hatten. Na ja, Unkraut vergeht eben nicht.

Meine Zeit im Aprikosenparadies oder besser Bürgerkriegsgebiet endete eher unspektakulär: Mein Chauffeur kehrte tatsächlich einen Tag später zurück und machte mir mit Hilfe meines Dorf-Übersetzers klar, dass ich mittags zwei Stunden Zeit hätte zu verschwinden, nein – das hat er nicht gesagt -,sondern dass es wegen eines angekündigten Waffenstillstands mittags ein Zeitfenster von zwei Stunden gäbe, in dem ich versuchen könnte, Chorog zu Fuß zu durchqueren, um ans andere Ende der Stadt und von dort aus nach Duschanbe zu gelangen.
Habe ich vergessen zu erklären: Chorog ist ein Nadelöhr, durch das man hindurch muss, wenn man vom Pamir-Highway (oder vom Wachan-Korridor kommt), um nach „Hause“, sprich Duschanbe zu gelangen. Einzige Alternative: zurück auf dem Pamir-Highway über Murghab nach Kirgisien (sofern man ein Visum hat) und von dort weiter nach - ach, weiß ich wohin ………… Zentralasien ist groß!

Ich entschloss mich für das Zeitfenster, wurde darin aber von einer Schweizer Fahrradgruppe, die – ziemlich gehetzt und verängstigt aussehend – just aus Chorog angeradelt kam, nicht gerade bestärkt Ich erhielt den guten Ratschlag, auf keinen Fall nach Chorog zu gehen, denn die Gruppe hätte über 24 Stunden in einer Herberge vorwiegend auf dem Fußboden zugebracht und die Gefechte über sich ergehen lassen müssen und sei froh gewesen, endlich aus der Stadt fliehen zu können. Na dann! Das machte doch Mut! Hatte ich Alternativen?
Um es kurz zu machen: Bis zur Stadtgrenze nahmen mich freundliche Einheimische mit, an der ersten Straßensperre stieg ich aus, klappte den Bügel meines Rollkoffers aus (ich hasse die Wühlerei in Rucksäcken) und musste fortan wohl einen sehr bizarren Eindruck gemacht haben, wie ich so ca. drei Kilometer (gefühlte 10) bei glühender Mittagshitze durch die „Haupteinkaufsstraße“ Chorogs „flanierte“, links und rechts an ausgebrannten Panzern und Autos vorbei, zwischen mehr oder weniger zerstörten Häusern hindurch . Die Straßen waren nicht leer, aber es war gespenstig still; die Bürger auf den, nennen wir es „Bürgersteigen“ standen stumm und warteten ………….. nur mein Rollkoffer machte - mir unangenehme - Geräusche auf der unebenen Straße. Eine fast surreale Atmosphäre !                                                                                                                           

Am Stadtausgang saßen Soldaten in den Vorgärten und hinter Straßensperren aus umgesägten Bäumen und quer gestellten Lkws. Auch hier war die Spannung spürbar, fast greifbar.

Eine Szene wie im Western : High Noon vor dem Saloon, nur realer - und - ohne Duell und für mich mit gutem Ausgang: An einer Dankstelle (Freudscher Verschreiber!) am Ortsausgang warteten schon andere Gestrandete, natürlich nur Franzosen (!) und ein frankokanadisches Pärchen (mit einem grauslichen Französisch und ebensolchem Benehmen - Pardon! Ich will keine Vorurteile schüren).
Die Wartezeit dauerte nicht lang und wir fanden schnell einen verdienstwilligen und flexiblen Geländewagen-Besitzer. 

Rund 18 Stunden (die Südroute ist doch schneller!) später nach unzähligen Reifenpannen und zweimaligem Fahrzeug- und Fahrerwechsel waren wir wieder in Duschanbe (umringt von zahlreichen wissensdurstigen Reportern).

 

Back Home
Ich habe noch herrliche Tage in Tadschikistan mit meinen neuen Freunden, Daler und seiner Familie, verbracht. Picknicks mit Barbecue und Spaziergänge in der herrlich grünen Mittelgebirgslandschaft bei Romit, nordöstlich von Duschanbe, waren genau das Richtige, sich von den Strapazen im Pamir zu erholen und eine gute Gelegenheit, das Erlebte zu verarbeiten.

Ein weiteres Highlight zum Abschluss meiner Reise war ein mehrtägiger Ausflug ins Fan – Gebirge, nordwestlich der Hauptstadt. Dieses Gebirge, Teil der Zarafshankette, ähnelt teilweise sehr den Alpen (mit Höhen bis über 4000m) und lädt zu großen oder kleinen Wanderungen ein, z.B. in die Seenlandschaft der „Sieben Seen“ bei Artuch, wo der berühmte Dichter Rudaki (der „Goethe“ Tadschikistans) herstammt.

Viele beeindruckende Erlebnisse aus Tadschikistan sind mir in Erinnerung geblieben; überragend sind die phantastischen Gebirgslandschaften und überwältigend die Gastfreundschaft der Tadschiken.
Nochmals vielen Dank für die Hilfen bei der Vorbereitung meiner Reise bei der Deutsch-Tadschikischen Gesellschaft und für die herzliche Aufnahme bei Daler und seiner Familie.

Bernd Mohwinkel